Marktkommentar
In den letzten Wochen sind die Kurse von Anleihen und Aktien weiter gesunken. An den Börsen zeigt sich das mittlerweile bekannte Muster, wonach v.a. Wachstumswerte schwach sind, während sich Value-Werte (Aktien mit tiefer Bewertung und oft überdurchschnittlicher Dividendenrendite) deutlich besser halten.
Von den Handelsmustern her zeigt sich, dass der Abgabedruck primär von den USA ausgeht und sich oft gegen Handelsende verstärkt hat (wenn Europas Börsen bereits geschlossen sind). Entsprechend hat der US-Markt (mit einem überdurchschnittlichen Anteil von Wachstumswerten, v.a. Technologie) in diesem Jahr schwächer als Europa abgeschnitten (wobei der erstarkende Dollar diese Schwäche für Europas Anleger zu einem guten Teil kompensiert hat). Hinter der schwachen Börse orten wir als hauptsächlichen Faktor die Korrektur der Wachstumswerte, welche während der Pandemie unüblich stark performt hatten (der Ukraine-Krieg spielt, besonders für die US-Börse, eine untergeordnete Rolle). Dass die Börse im Vorfeld und zu Beginn einer Fed-Zinserhöhungsphase schwach ist, ist unüblich, selbst in den 1970er-Jahren (Fed-Zinserhöhungen und steigende Inflation).
Fed-Pressekonferenz
An der Pressekonferenz hat Fed-Chair Powell zwar gesagt, dass weiterhin 0.5%-Zinsschritte zu erwarten sind. Damit sind 0.75%-Erhöhungen vermutlich vom Tisch, was zur Erholungsrallye während der Pressekonferenz geführt hat. Das Ausmass der Zinserhöhung an einzelnen Fed-Meetings ist allerdings ein unwesentlicher Aspekt. Zentral ist letztlich, wie stark der Inflationsdruck ausfällt und wie lange er anhält, da dies die kumulativ nötigen Zinserhöhungen bestimmt.
Bezüglich Inflation sind Jerome Powells Aussagen ernüchternd. Mehrmals erwähnt hat der Fed-Vorsitzende, dass derzeit rund 11,5 Millionen offenen Stellen in den USA gemeldet sind – ein historischer Rekord. Bei knapp 6 Millionen Arbeitslosen (nahe historischer Tiefs) bedeutet dies, dass es pro Arbeitslosen fast 2 offene Stellen gibt, was in der Geschichte einmalig ist und auf eine enorm gute Konjunktur, an sich sogar eine überhitzte Wirtschaft, hinweist. In diesem Umfeld ist mit der Überwälzung gestiegener Kosten von Unternehmen an die Konsumenten zu rechnen.
Überstimulierte US-Wirtschaft während der Pandemie
Die enorm gute Konjunktur ist zu einem guten Teil auf enorme staatliche Hilfspakete während der Pandemie zurückzuführen (u.a. mehrmals Direktzahlungen – Stichwort „Stimulus-Checks – an eine Mehrheit von US-Haushalten). Die Hilfspakete im Umfang von noch nie dagewesenen rund 25% der Wirtschaftsleistung im Verlauf der letzten 2 Jahre entsprechen einem Vielfachen des durch die Lockdowns verursachten Verlust an wirtschaftlichem Output (je nach statistischer Quelle wurden in Westeuropa ähnlich hohe Wirtschaftshilfen in Relation zur Wirtschaftsleistung gesprochen, wobei diese öfter Garantien umfassten und anstelle von Direktzahlungen im Giesskannenprinzip wurden die bestehenden Sozialhilfe-Kanäle ausgebaut – entsprechend sind in Europas Wirtschaft keine wesentlichen Ungleichgewichte auszumachen). Die Stimuluspakete der USA zeigen sich u.a. in einer enorm überhöhten Güternachfrage im Gefolge der Pandemie, ein Phänomen, das sonst in keiner führenden Volkswirtschaft der Welt feststellbar ist.
Zusammengefasst ist die Inflation in den USA primär der überbordenden Güternachfrage geschuldet (da viele Gütermärkte global integriert sind, u.a. stammen die Güter aus Asien, zeigt sich auch in Europa eine unüblich hohe Güterpreisinflation – sie ist aber weit weniger ausgeprägt als in den USA und in Europa nicht primär „hausgemacht“). Die stark gestiegenen Energiepreise sind ein weiterer Faktor, aber ursächlich für den Inflationsanstieg nicht zentral.
In den USA ist eine Abkühlung der Wirtschaft unumgänglich, um den Arbeitsmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Wenn in diesem Zusammenhang von Rezession die Rede ist, dann muss dies nicht mit einem ähnlich starken Einbruch wie im Gefolge der Finanzkrise einhergehen. Um die Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen, muss überschüssige Kaufkraft der Konsumenten abgeschöpft werden. Zum einen findet dies derzeit durch die hohen Energiepreise statt (Umverteilung von Konsumenten an Produzenten), zum anderen durch höhere Zinsen (etwa im Hypothekarbereich).
Dieser Prozess dürfte 12-18 Monate dauern, womit die Inflationsthematik die Kapitalmärkte auch noch im kommenden Jahr beschäftigen werden. Eine wirtschaftliche Abschwächung aufgrund höherer Zinsen ist zeitlich erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu erwarten. Die Inflation reagiert dann meist noch mit etwa einem Jahr Verzögerung. Spätestens 2025 wäre eine Inflation im Rahmen des Notenbankziels von 2% zu erwarten.
Inflationsszenarien für die kommenden Monate
Für die Inflationsentwicklung im weiteren Jahresverlauf sind drei Faktoren zentral, die Konjunktur (diese spricht in diesem Jahr noch für einen anhaltenden Inflationsdruck), die Güternachfrage und schliesslich die Energiepreise. Im Vordergrund steht für die Kapitalmärkte klar die Entwicklung in den USA.
In einem positiven Szenario stabilisieren sich die Erdölpreise im Bereich von höchstens USD 100-110 pro Fass. In diesem Fall sinkt die Energieinflation oder wird sogar negativ, was bereits in den kommenden Monaten zu tieferen Gesamtinflationsraten führen würde (insbesondere auch in Europa). Positiv für die Inflation (nicht aber für die Unternehmensgewinne) wäre eine rückläufige Güternachfrage, und eine fortgesetzte Erholung des Dienstleistungskonsums(v.a. Events und Reisen), was zu einem geringeren Inflationsdruck auf den globalen Gütermärkten führt. Diese beiden entlastenden Faktoren wären im positiven Szenario grösser als der zugrundeliegende Inflationsdruck aufgrund der starken Konjunktur.
Am anderen Ende der Skala steigt die Inflation weiter, wenn weder bei den Energie- und Rohstoffpreisen noch an den Gütermärkten die erhoffte Entspannung eintritt (u.a. auch wegen anhaltender Lockdowns und damit Produktionsausfällen in China).
Aktuell weist die Nachrichtenlage nicht ausreichend auf eine Entspannung bei der Inflation hin, was die Börsen in den letzten Wochen belastet hat. In diesem Umfeld steigen die Anleihe-Renditen und Wachstumswerte stehen unter Druck. Dem steht allerdings eine enorm schlechte Börsenstimmung gegenüber (unser Stimmungsindikator hat Ende April den tiefsten Wert in unserer Messreihe, welche 2005 beginnt, erreicht). Damit wird eine Erholungsrallye an den Börsen zusehends wahrscheinlich.
Der aktuelle Inflationsverlauf (indirekt das Resultat der Pandemie) und die Ungleichgewichte in der US-Wirtschaft stellen in vieler Hinsicht Neuland dar, auch für die Notenbanken. Anders als in den 1970er-Jahren sind die führenden Notenbanken weit stärker auf die Inflationsbekämpfung sensibilisiert (insbesondere bestehen klare Inflationsziele). In der Summe sind weiterhin stark unterschiedliche Szenarien (von nachlassendem bis weiter steigendem Inflationsdruck) in den kommenden Monaten möglich (wobei tiefere Inflationszahlen im Vorjahresvergleich v.a. in den USA sehr wahrscheinlich sind). Selbst bei einer kurzfristigen Entspannung dürfte es aber für eine vollständige Inflations-Entwarnung mindestens 12-18 Monate dauern.
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